
Staub wirbelt durch die glühende Hitze. Eigentlich sollte hier grünes Gras sprießen. Eigentlich müsste der Weg in die Klinik um diese Jahreszeit vor lauter Schlamm kaum befahrbar sein. Eigentlich. Doch es herrscht Ausnahmezustand. Selbst hier in der so fruchtbaren Küstenregion Kenias hat es seit Monaten nicht ausreichend geregnet. Kaum 12 Stunden nach meiner für alle überraschenden Ankunft im MiRO-Kinderheim sind wir mit vier Kindern auf dem staubigen Weg ins Krankenhaus. Zwei Mal Durchfall und zwei Mal Fieber lauten die Beschwerden.

Vorbei bei an Müllbergen, in denen knochige Kühe nach etwas Essbarem suchen, entlang an kleinen Wellblechhüttchen, erreichen wird die Child Welfare Klinik. Im von Palmen umsäumten Aufenthaltsbereich liegen und sitzen auf den Bänken und auf dem Boden in bunte Tücher gekleidete Frauen mit ihren für den Arztbesuch herausgeputzten Kindern. Mädchen in Tüllkleidern, Jungen in Hemdchen. Wir haben Glück, da Hausmutter Florence regelmäßig mit einem erkrankten MiRO-Kind vor der Tür steht - bei 36 Kindern ist das wenig verwunderlich - kommen wir schnell dran.
Zuerst werden Gewicht und Größe der Kinder gecheckt. Dann Fieber gemessen. Während sich die beiden Mütter, die vor uns an der Reihe sind, mit ohrenbetäubenden Geschrei und heftiger Gegenwehr auseinandersetzen müssen, sobald ihren Kindern das Thermometer unter die Achsel geklemmt wird, lassen unsere Kleinen die Prozedur ohne mit der Wimper zu zucken über sich ergehen. Wenn man als Baby einfach auf den Müll geworfen wurde oder sich mutterseelenallein bettelnd auf der Straße durchgeschlagen hat, kann einem eben so ein kleines Thermometer nichts anhaben. Und auch das Blutabnehmen für den Malariatest ertragen die Kids tapfer.

Insgesamt sechs Stunden sind wir an diesem Tag in Sachen Kindergesundheit unterwegs. Denn in dieser Klinik funktioniert das Labor nicht. Deshalb müssen wir in ein anderes fahren, wo eine nette Dame die kleinen Blutstropfen unter dem Mikroskop auf Malaria-Erreger untersucht. Stuhlprobe wird heute nix mehr. Also verdinge ich mich am nächsten Tag als „Poopoo-Transport“ und bringe per Motorrad-Taxi Stuhlproben zur Untersuchung. Diagnose des Arztbesuches: Einmal Malaria und zwei Mal Magen-Darm-Infekt. Das gerade fünf Monate alte Baby namens Gift (engl. Geschenk), das wenige Wochen nach seiner Geburt ausgesetzt wurde, hat Fieber, weil es seine Zähnchen bekommt. Nach wenigen Tagen medikamentösn er Behandlung der kleinen Patienten darf ich noch während meines Aufenthaltes miterleben, wie es den Kindern besser geht.

Nicht nur wegen der guten medizinischen Versorgung hier bin ich froh, dass sich das MiRO-Kinderheim an der Küste Kenias befindet. Vor allem angesichts der katastrophalen Dürre und ihren verheerenden Auswirkungen in 23 von 47 Bezirken Kenias. Bereits im Februar hatte der kenianische Präsident den Katastrophenzustand ausgerufen. Laut Behörde sind 2,7 Millionen Bürger des Landes auf Hilfe angewiesen.
Hilfsorganisationen mahnen, dass in ganz Ostafrika zwölf Millionen Menschen vom Tod bedroht, wenn sie keine Lebensmittelhilfe erhalten.

In der Küstenregion rund um Mombasa macht sich die Dürre vor allem durch eine Lebensmittelknappheit und eine extreme Preissteigerung bemerkbar. „Die Preise für Lebensmittel haben sich verdoppelt, manche Sachen sind auf dem Markt überhaupt nicht mehr bekommen“, berichtet Heimleiterin Josephine Mutisya. Um so wichtiger wäre nun, ein eigenes Stück Land zu haben, wo man selbst Mais und andere Nahrungsmittel anbauen könnte. Denn noch immer besteht die Hoffnung auf den erlösenden Regen und die so wichtigen Früchte, die er mit sich bringt.

Die 36 MiRO-Kinder im Alter von fünf Monaten bis zu 16 Jahren merken nichts von dem Ausnahmezustand den die Regierung im Januar ausgerufen hat. Sie haben gerade Schulferien und sind für jede Form der Abwechslung dankbar. Vormittags versuche ich Nachhilfe zu geben, ohne an dem Krach zu verzweifeln. Eins ist sicher: Der Schweigefuchs ist in Kenia auf verlorenem Posten. Und: Ich bin nicht zur Lehrerin geboren! Aber die Großen helfen mir tatkräftig, die Kleinen zu bändigen. Nachmittags versuchen wir, der Enge des ummauerten Wohnhauses, das nun seit vier Jahren als Kinderheim genutzt wird zu entfliehen. Vor allem die heranwachsenden Jungs müssen sich austoben. Also geht’s auf ein benachbartes Feld zum Fußballspielen.

Die Kinder freuen sich über die von mir mitgebrachten Freizeitschuhe aus Deutschland, die liebe Freunde gespendet haben. Aufgeregt rennen selbst die Kleinen mit ihren neuen Sandalen umher und jubeln (Siehe Fotogalerie). Doch auch für die Schule, die in zwei Wochen wieder losgeht, müssen neue Schuhe herbei. Denn die schwarzen Lederschuhe, die zur Uniform gehören, sind bei den meisten voller Löcher. Also stellen sich die Jungen und Mädchen barfuß der Reihe nach auf ein Stück Papier und bestaunen, dass Bob, der Älteste, mit einem Stift die Umrisse ihrer Füße abzeichnet. Für 120 Euro kaufe ich neue, schöne Schuhe. Hurra, die Schule kann kommen.

36 kleine und große Wirbelwinde auf so engem Raum zusammen, entfachen vor allem in den Ferien eine große Zerstörungskraft. Immer geht etwas kaputt. Mal ist es eine Glühbirne, die einem Fußball zum Opfer fällt, mal hält ein Wasserhahn der Experimentierfreude nicht stand. Diesmal sind - mal wieder - die Wasserhähne im Badezimmer der Jungs und die Dusche im Badezimmer der Mädchen. Auch das Abwasserrohr vom oberen Bad ist schon seit einiger Zeit leck und sorgt bei 37 Grad Hitze für einen unangenehmen Gestank. Die Freude ist groß, als unser "Fundi" - ein Klempner - die Sachen alle repariert. Ich appelliere an die Vernunft der Kinder. Gebetsmühlenartig wiederhole ich: „Bitte macht nicht immer alles kaputt“. Alle nicken, die pubertierenden Jungs schauen sich schuldbewusst und reumütig an und ich weiß doch, dass beim nächsten Besuch sicher wieder irgendetwas defekt sein wird. Hakuna matata. So ist es halt.
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